14/10/2017 Prédication pasteur Pietz à St Vincent (deutsch)

Predigt Pfarrer Hans-Wilhelm Pietz (Görlitz)

zu Römer 3,21-24

beim ökumenischen Gottesdienst in Carcassonne,

14. Oktober 2017

500 Jahre Reformation

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!      Amen.

 

Lasst uns hören, was wir im Römerbrief lesen, im 3. Kapitel, in den Versen 21-24:

 

21 Jetzt aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.

22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: 23 Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen, 24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.

 

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder in Christus Jesus, liebe festliche Versammlung!

 

 

Jetzt aber.

Was lange Zeit undenkbar und unmöglich erschien, ist Wirklichkeit geworden: Römisch-katholische und evangelische Christen gedenken gemeinsam der Reformation. Sie hören miteinander auf das Wort der Schrift. Sie suchen auf, was vor 500 Jahren der Kirche zur Erneurung geholfen hat und was davon auch heute trägt. Sie vergessen nicht, wie viele Wunden geschlagen worden sind – durch üble Nachrede und schlimme Verzerrungen, durch den Fanatismus, durch Gedanken-losigkeit oder herzlose Buchstabentreue. Wir strecken uns aus nach der verwandelnden und erneuernden Güte Gottes.

 

 

Jetzt aber.

Christen aus Deutschland und Frankreich feiern gemeinsam ein Ereignis, das von der deutschen Geschichte aus europäische und Weltgeschichte gemacht hat. Menschen aus zwei Völkern, deren Weg auch durch so viel Abgrenzung, Leid und Krieg geprägt war, freuen sich der seit Jahrzehnten bewährten Nachbarschaft und Freundschaft. Was vor 100 Jahren, im Oktober 1917,  für immer verwirkt zu sein schien, gehört zum Leben unserer Generation fast wie selbst-verständlich dazu und bewährt sich in der angespannten Situation unserer Zeit: Gott sei Dank!

 

Jetzt aber.

Ein Pfarrer aus dem Osten Deutschlands und die Vertreter der Görlitzer Ev. Innenstadtgemeinde, die in ihrer Jugend- und frühen Erwachsenenzeit von einem Besuch in Südfrankreich nur träumen konnten, dürfen zum wiederholten Mal in Carcassonne zu Gast sein. Von musikalischen Begegnungen vorbereitet und begleitet – sind tiefe menschliche und geistliche Begegnungen gewachsen. Was für ein Geschenk!

 

Jetzt aber.

In den Herausforderungen dieser Zeit, angesichts all der schon verbrauchten Möglichkeiten, unter denen die Schöpfung seufzt und stöhnt, und die die Menschen in die Enge treiben, angesichts all der schon verbrauchten Möglichkeiten, die so viele aggressiv machen und wieder für schlimme Ideoligien empfänglich – vertrauen wir auf den Gott, der uns Zukunft schenkt und in seinen Dienst ruft.

 

Jetzt aber.

Gegen alle Trägheit. Gegen alle Selbstgenügsamkeit. Gegen alle schlimme Gewalt. Gegen die Hoffnungslosigkeit. Gegen die Lieblosigkeit - halten wir uns an das gute Wort und spüren, wie es in unserer Mitte wirkt:

 

 

 

Jetzt aber: Gerechtigkeit,

Gerechtigkeit vor Gott,

die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen. Denn es ist hier kein Unterschied:

sie allesamt werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.

 

Jetzt aber - wer so spricht, liebe Gemeinde, hat einen Bruch hinter sich. Es gibt ein Vorher, ein: Das war einmal. Doch das setzt sich nicht fort. Es gibt keinen Zeitstrahl mehr, auf dem sich die Zeiten aneinander reihen wie die Perlen auf einer Schnur. Nein, stattdessen ist da dieser Bruch - entgegen der Logik des bisherigen Lebens. Ein großes Aber: Jetzt aber. Was zuvor war, ist Schnee von gestern. Verschwunden. Geschmolzen in der Sonne.

 

Wittenberg 1520: Martin Luther schreibt in diesem Jahr um sein Leben. Die Verurteilung als Ketzer ist nur noch eine Frage der Zeit. Jetzt aber. Jetzt aber schnell. Die neuen Gedanken müssen in die Welt. In die Welt muss das große Aber, das ihn eingeholt, das ihn überwältigt hat wie seinerzeit den Apostel Paulus bei seiner Berufung.

 

Die alte Zeit gilt nicht mehr. Die Heilsmechanismen, die die Kirche mit dem Ablasshandel anbietet, sind schal geworden wie Sauerbier. Das weiß er, seit er seine 95 Thesen in die Öffentlichkeit gebracht hat. Ja, der Ablass und der Ablasshandel sind schädlich, weil sie in falsche Sicherheit wiegen. Der Glaube eines jeden und einer jeden Einzelnen ist wichtig, das kindliche Vertrauen, das nichts von noch so eindrucksvollen eigenen Leistungen oder den doch schon sicheren Verdiensten der Heiligen erwartet, sondern alles von Gott. Und das seinen Blick vertrauensvoll auf diesen Jesus von Nazareth richtet. Nur auf ihn.

 

Keine fremden Autoritäten mehr. Das ist radikal. Das ist revolutionär. Und so schreibt Luther eine Schrift um die andere: An den christlichen Adel deutscher Nation, von der Freiheit eines Christenmenschen, von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche. Er wird zum meistgelesenen Theologen Deutschlands.

 

Vorher war er ein vorbildlicher Mönch, einer, der sich redlich mühte, alle Vorschriften zu erfüllen. Ja, der mehr beichtete, sich kompromissloser kasteite als seine Mitbrüder. Und der doch keinen Frieden fand. Zuvor hieß es: Du musst besser werden. Du musst dich noch genauer beobachten. Du musst noch kritischer mit dir sein. Du musst noch mehr tun, damit Gott dich freundlich ansieht. Und am Ende blieb ihm doch nur das Gefühl, immer noch nicht zu genügen.

 

Was soll nur werden unter so viel Perfektionsdruck?

 

Jetzt aber…

 

Jetzt aber: eine neue Leichtigkeit. Eine neue Freiheit. Ein erster vorsichtiger Tanzschritt, nach langer Zeit der Gefangenschaft, im Rhythmus der wieder neu entdeckten Hauptworte „Gnade“ und „umsonst – ohne Vorbedingungen“. Christus ist ja schon da – bevor ich irgendetwas tun kann. Mein Name ist ja schon in seine Geschichte eingeschrieben. Und was ihm gehört, gehört auch mir, ein neuer Himmel und eine neue Welt auf dieser Erde. Jetzt aber - ist Christuszeit.

 

Wann das war, Martin Luthers reformatorische Entdeckung, werden wir nicht genau datieren können. Das bleibt Stoff für gelehrte Auseinandersetzung. Auf jeden Fall nimmt Luther aber für sich ein einmaliges, ein lebenswendendes Ereignis in Anspruch. Einen neuen ersten Atemzug – wie neugeboren!

 

Und diese Leichtigkeit, dieses neue Atemholen wie am ersten Tag, diese Freiheit gelten ohne Unterschied. Nicht nur ihm, sondern allen, die glauben. Vor Gott kann sich keiner besonders hervortun. Auch das wird Luther (wie Paulus) nicht müde, seinen Zeitgenossen einzu-schärfen. Da sind sie alle gleich. Alle allzumal Sünder. Doch gleich sind sie auch als Angehörige der christlichen Gemeinde, als Glaubende und Befreite:  einer wie die andere ein Priester, eine Priesterin. Einer wie der andere dazu aufgerufen, den anderen Menschen anzuhören, mit ihm zu beten, ihm die Vergebung der Sünden zuzusagen – um Jesu Christi willen. Da ist kein Unterschied des Standes mehr wischen den geweihten Priestern und dem ungeweihten Volk, kein Unterschied zwischen den Erfolgreichen und den Loosern, zwischen Jungen und Mädchen – auch Mädchen sollen Schulbildung bekommen, heißt es bei den Reformatoren -, kein Unterschied zwischen den Einheimischen und den Zugewanderten.

 

So kann der junge Luther noch offen auf seine jüdischen Mitbürger zugehen. Sind sie doch „Blutsbrüder, Vetter und Brüder unseres Herrn“, wie er 1523 schreibt. Und es bleibt zutiefst beschämend und erschreckend, dass der alte Luther in seiner unerträglichen Polemik gegen das jüdische Volk so weit hinter seine reformatorischen Anfänge zurückfallen konnte.

 

Jetzt aber – 2017.

In den Auseinandersetzungen über die richtigen Wege der Politik in unserem Land und in Europa setzen viele wieder auf Abschottung. Das Bauen von Mauern wird auch bei uns im Osten Deutschlands wieder ernsthaft erwogen. Altes Denken suggeriert, dieses Land gehört uns, nur uns.

 

Dabei wissen wir doch: Ein Heraus aus den bedrängenden Situationen gibt es nicht, indem man Mauern baut und Barrieren höher macht. Ein Heraus aus der Welt der verbrauchten Möglichkeiten gibt es nicht, indem man die Chancen auf eine gemeinsame Zukunft noch geringer macht. An einem Heraus aus den verbrauchten Möglichkeiten zu arbeiten, das heißt, Wege begehbar zu erhalten, die Stolpersteine und Fallgruben zu markieren und abbauen zu helfen, die mühsamen Schritte nicht zu scheuen, auf denen es miteinander weitergeht.

 

Martin Luther hat die Bewegung dazu bei Gott selbst entdeckt. Hat die uns aufgetragene Lebensbewegung an der Bewegung des Lebens Gottes gelernt. In seiner Auslegung des Lobgesangs der Maria, des Magnifikat, aus dem Jahr 1521 schreibt er:

 

„Denn dieweil Gott der Allerhöchste und nichts über ihm ist, kann er nicht über sich sehen, kann auch nicht neben sich sehen. Die weil ihm niemand gleich ist, muss er notwendig in sich selbst und unter sich sehen, und je tiefer jemand unter ihm ist, desto besser sieht er ihn.

Aber die Welt und die Menschenaugen tun das Gegenteil ... Das

erfahren wir täglich, wie jedermann nur über sich (hinaus)

zur Ehre, zur Gewalt, zum Reichtum, zur Gelehrsamkeit, zu gutem

Leben und allem, was groß und hoch ist, hinstrebt. Und wo solche Menschen sind, denen hängt jedermann an, da läuft man  (hin)zu, da dienet man gern,  da will jedermann sein und der Höhe teilhaftig werden …“

 

Man könnte fast verzweifeln, setzt Luther im Blick auf diesen Gang der Welt dazu. Und fährt schließlich fort: „Wo aber erfahren wird, wie unser Gott ein solcher Gott ist, der in die Tiefe sieht und nur den Armen, Verachteten, Elenden, Jammervollen, Verlassenen hilft und denen, die gar nichts sind, da wird er dem Menschen so von Herzen lieb, da geht das Herz über vor Freuden, hüpft und springt vor großem Wohlgefal-

len, das es an Gott bekommen hat.“

 

Jetzt aber. Es gibt eine Verbindung von Theologie und Frömmigkeit, von Ästhetik und Ethik, die diese Welt verändert. Wo uns Gott in Jesus Christus begegnet, wo der Allerhöchste im Allergeringsten erscheint, da geht uns auf, dass es einen offenen Himmel gibt und ein „Jetzt aber anders“ auf unserer Erde. Es gibt schon einiges, was wir Katholiken und Protestanten miteinander als Evangelische, als vom Evangelium Bewegte, in unsere Welt einbringen und was wir noch 500 Jahre nach dem Thesenanschlag feiern können:

 

Die Orientierung des Einzelnen am Weg der Nächstenliebe etwa, den Einsatz für gerechte Sozialsysteme, den Gedanken einer guten Bildung für alle – und die viele wunderbare Kirchenmusik, nicht zuletzt die so verbindene Musik.

 

Die Mitte all dessen ist aber doch ein Name: Jesus Christus.

 

Und so haben die katholischen und die evangelischen Bischöfe Deutschlands vor einem Jahr schon gemeinsam dazu aufgerufen, die 500jährige Wiederkehr des Thesenanschlags als ein Christusfest zu feiern und wir haben erlebt, was dabei bisher schon möglich geworden ist – in Wittenberg und in Lund, in Görlitz und in Carcassonne.

 

Das war und ist ein bewegendes ökumenisches Ereignis nach so vielen Reformationsjubiläen die von harter konfessioneller Feindschaft gekennzeichnet waren. Das Gemeinsame höher bewerten als das Trennende. Und dann auch gemeinsam etwas tun. Das ist eine so gute Stunde der Kirchengeschichte - und wir sind dabei – und können

 

jetzt mit Martin Luther beten:

Der Himmel ist uns umsonst gegeben und geschenkt.

Wir haben nichts dazu getan,

auch nichts dazu tun können.

Christus, unser Herr,

hat ihn durch sein Blut teuer erkauft.

Darüber haben wir Brief und Siegel.

Gott,

gib nun Gnade und hilf,

dass wir die Botschaft wohl verwahren,

damit sie uns nicht zerrissen wird.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.